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Von der Öko-Kiste bis zum Wirtenetzwerk
Nachfrage nach Bio-Rindfleisch wächst – Akteure aus der Region berichten über ihre Erfahrungen
Artikel von Karin Kleinert vom 01.09. Freilassinger Anzeiger, 14.10. Südostbayerische Rundschau
Berchtesgadener Land/ Traunstein. Fleischkonsum ist ein kontrovers diskutiertes Thema: Viele Menschen essen Fleisch gerne und häufig, einige haben es ganz von ihrem Speisenplan gestrichen. Eine dritte Gruppe favorisiert den guten alten Sonntagsbraten, setzt dabei mehr auf Qualität und wählt dabei bewusst Fleisch aus ökologischer Tierhaltung - auch wenn das Bio-Fleisch wegen der kostenintensiveren Haltung teurer ist. Weil unser Gebiet wie das gesamte Alpenvorland ein traditionelles Grünlandgebiet mit Rinderhaltung ist, hat die Heimatzeitung einige Akteure aus den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein zum Thema Biorindfleisch befragt, das zwar nur einen geringen Marktanteil auf dem Biosektor ausmacht, dessen Nachfrage allerdings konstant wächst, wie eine Statistik der AMI, der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft, belegt: Zwischen 2015 und 2019 hat sich dieProduktion von Bio-Rindfleisch fast verdoppelt.
Bis 2030 soll der Ökolandbau dreißig Prozent ausmachen, so lautet das von der Bayerischen Staatsregierung ausgegebene Ziel. Dieses Ziel liegt aber noch um einiges entfernt: Laut Statistik der AMI wirtschaften in Bayern etwa zehn Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe nach ökologischen Richtlinien. Bayern besitzt mit etwa 10.000 Ökobetrieben bundesweit die meisten. Die seit 2014 gegründeten 27 bayerischen Ökomodellregionen leisten ihren Beitrag dazu, so auch die Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel: In der Ökomodellregion Waginger See- Rupertiwinkel betrug der Anteil der nach ökologischen Richtlinien wirtschaftenden Betriebe 2013 sieben Prozent, innerhalb von 6 Jahren ist er auf gute 12 Prozent gestiegen. Projektleiterin Marlene Berger-Stöckl verfolgt etliche Initiativen zur Verbesserung der Wertschöpfung für die Landwirte, insbesondere im Bereich der Direktvermarktung, und ist dabei immer bemüht, Bevölkerung und Landwirte für nachhaltiges, ökologisches Wirtschaften zu sensibilisieren und zu informieren.
Im Sommer auf der Weide und ohne Gentechnik
Was bedeutet ökologische Tierhaltung? Die Rinder müssen ausreichend Platz und Bewegungsfreiheit haben, im Sommer auf der Weide stehen, wo sie genügend Futter finden, und im Winter im Stall, wo sie mit Heu und Grassilage von biologisch bewirtschafteten Feldern gefüttert werden. Gentechnisch veränderte Importfuttermittel, hormonelle Masthilfen, synthetische Futtermittelzusätze und ähnliches sind für die Erzeuger von Bio-Rindfleisch verboten. Außerdem soll der Weg zur Schlachtung möglichst kurz und für die Tiere stressfrei sein, was sich wiederum positiv auf die Fleischqualität auswirkt, da durch Stress Adrenalin ausgeschüttet wird, was das Fleisch verwässert. Landwirte, die so wirtschaften, können sich nach der geltenden EU-Öko-Verordnung mit entsprechender Öko-Kontrollnummer biozertifizieren lassen und obendrein noch Anbauverbänden wie Naturland, Bioland, Demeter und Biokreis – das sind die vier anerkanntesten - beitreten. Die Landwirte, die sich vertraglich verpflichten, die Richtlinien des jeweiligen Anbauverbandes einzuhalten, müssen
alles lückenlos dokumentieren. Es gibt regelmäßige Prüfungen einer unabhängigen Kontrollstelle, womit auch der Verbraucher eine Sicherheit für die Bioqualität hat. Ein Verzeichnis der kontrollierten Unternehmen des ökologischen Landbaus gibt der BVK, der Bundesverband der Öko-Kontrollstellen, heraus, das unter www.oeko-kontrollstellen.de für jed ermann einsehbar ist.
Ihr Bio-Rindfleisch vermarkten die Landwirte entweder selbst oder sie greifen auf Kooperationspartner zurück. Entscheidend dabei ist, dass der Verarbeitungspartner faire, d.h. deutlich höhere Abnahmepreise als üblich, bezahlt. Denn langsam und natürlich gemästete Biotiere brauchen ein Mehrfaches der auf größtmögliche Effizienz und niedrigste Kosten optimierten Mastdauer und somit mehr Stallfläche, mehr Weidefläche, mehr Futter und viel mehr Zeit zum Wachsen – dafür aber kaum Medikamente.
Da wäre zum einen „Chiemgauer Naturfleisch“ zu nennen, 1991 in Trostberg gegründet und von Anfang an bestrebt, den Ökolandbau in der Region 18 (d. i. die kreisfreie Stadt Rosenheim und die Landkreise Altötting, Berchtesgadener Land, Mühldorf, Rosenheim und Traunstein sowie deren Städte und Gemeinden) zu stärken. Es bietet ausschließlich Biobauern eine Absatzmöglichkeit. An die zweihundert Landwirte – sie müssen einem der vier Anbauverbände angehören – liefern regelmäßig ihre Tiere dorthin. Einige Biobauern arbeiten seit vielen Jahren gut mit Chiemgauer Naturfleisch zusammen, darunter beispielsweise Korbinian Danzl vom Pimperlhof in Waging, dessen Schwiegervater seit Anbeginn dabei war, oder Josef Fegg vom Voglerlehen in Bischofswiesen. Alle schätzen den fairen und stabilen Festpreis, auch wenn die Preisentwicklung mal nach unten geht. „Freilich wäre eine regelmäßige Preissteigerung wünschenswert“, so Biobauer Johann Wolfgruber aus Niederstraß, der die Trostberger Firma, wie er sagt, „guten Gewissens an Landwirte und Verbraucher empfehlen kann“. Im Gespräch mit der Heimatzeitung sagt Chiemgauer Naturfleisch-Geschäftsführer Tom Reiter, man würde grundsätzlich neue Landwirte aufnehmen, Interessenten können sich melden.
Ein großer und wichtiger Akteur für die Bauern ist die Erzeugergemeinschaft für Schlachtvieh Traunstein (EG), eine 1977 gegründete Selbsthilfe-Organisation von Schlachtrind erzeugenden Landwirten in Südostbayern, die das Fleisch vornehmlich an den Fleischgroßhandel liefert. Das Tochterunternehmen „Regionalrind Traunstein-Miesbach“ beliefert ebenfalls den Großhandel, ermöglicht den Landwirten aber auch Lohnschlachtung und Selbstvermarktung. Von den rund 2 500 Mitgliedern der Genossenschaft im Landkreis BGL und TS sind circa 300 biologisch wirtschaftende Betriebe, also zwölf Prozent. Wie Hans Grabner, Geschäftsführer der EG, auf Anfrage erklärt, werden die Tiere im vereinseigenen Schlachthof in Traunstein sowie im Schlachthof in Laufen, beide biozertifiziert, geschlachtet. Somit können Mitglieder und Selbstvermarkter ihre Biorinder küchenfertig und für den Einzelhandel zugeschnitten abholen. Die Nachfrage liege jedoch im Biobereich noch hinter den Erwartungen, so Grabner.
Verbraucher für Bio-Qualität sensibilisiert
Bei Metzgermeister Gottfried Heilmaier aus Waging stimmt die Nachfrage mittlerweile, er sagt, dass die Sensibilisierung der Leute für Bioqualität inzwischen da ist. Heilmeier ist einer von mehreren kleineren Betrieben auf dem Rindfleischmarkt, die eine Nische entdeckt haben: Seit einigen Jahren hat er kein Ladengeschäft mehr, er vermarktet stattdessen das Rindfleisch einer speziellen Rinderrasse und zwar der Pinzgauer Rinder. Diese alte, bei uns heimische Rasse ist für ihr zartes und schön marmoriertes Fleisch bekannt. Heilmaier, dessen Betrieb biozertifiziert ist, schlachtet pro Jahr etwa zweihundert Rinder, die zwei bis drei Jahre alt sind und von Bauern aus der Region Waging, dem Berchtesgadener Land und dem Achental, aber auch, wenn er zu wenig hat, aus Österreich geliefert werden. Er fährt, wie er sagt, „zweispurig“, das heißt, zwei Drittel sind Bio-Rinder und ein Drittel konventionelle. Sie müssen allerdings alle aus Weidehaltung kommen. Die Edelteile, wie Lende, Filet und Tafelspitz, liefert er an Metzgereien bis nach München, aber auch an hiesige Märkte wie den inhabergeführten Edekamarkt von Tobias Stubhann in Surheim, für den es eine „Herzensangelegenheit“ ist, Fleisch von regionalen Bauern anzubieten. Die anderen Teile verwendet Heilmaier für sein „Rupertirind im Glas“, das sind diverse Fertiggerichte von Bouillon bis Roulade. Während die Vermarktung zu Beginn mühsam war, so Heilmaier, hat sich das Geschäft inzwischen gut entwickelt. Und weil er sich in einem „dynamischen Prozess“ sieht, sucht der Metzgermeister nach weiteren Biobauern, die ihm robuste Pinzgauer aus Weidehaltung liefern.
Biobauer Hans Lecker aus Niederheining setzt mit seinem Konzept auf hundert Prozent Bio: Er bestückt online bestellte Öko-Kisten ausschließlich mit Bio-Lebensmitteln. Zu der breiten Palette gehört auch Rindfleisch, das er vom Demeter-Hof seines Vaters, dem Lirzerhof in Schiffmoning in der Gemeinde Ainring, bezieht. Etwa fünfmal pro Jahr wird ein Fleckvieh in Laufen geschlachtet und zerlegt und über die Kiste in Einzelstücken oder als Mischpakete abgegeben. Die Kunden werden per Rundbrief informiert, oftmals sind die beliebtesten Stücke gleich weg, erzählt Lecker. Seit er mit dem neu gegründeten Verein „Ökogenuss Waginger See“ unter Leitung von Vereinsvorstand Sebastian Kettenberger zusammenarbeitet, hat sich die Palette an regionalen Biobetrieben in der Kiste stark erweitert. Ziel ist es laut Lecker, künftig noch stärker „Vermarktungshelfer für regionale Biobauern“ zu werden. Laut Berger-Stöckl von der Ökomodellregion ist durch die Zusammenarbeit mit dem neuen Verein dabei schon einiges in Bewegung gekommen; künftig soll gerade das Thema Direktvermarktung von Biofleisch auch über den neu gegründeten Verein gestärkt werden.
Potenzial in Kindergärten und Kantinen
Auch einige direktvermarktende Landwirte, mit denen die Heimatzeitung gesprochen hat, sind einfallsreich bei der Vermarktung ihres Rindfleisches und bedienen sich dabei ganz unterschiedlicher Schienen. Da wäre etwa Hans Koch vom Söllnhuberhof in Holzhausen bei Teisendorf zu nennen, der vor mehr als zwanzig Jahren auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt hat und sich auf Bio-Kalbfleisch spezialisiert hat, das er an die gehobene Gastronomie der Umgebung liefert. Er lässt seine Tiere im Schlachthof in Marzoll schlachten. Hans Koch sagt, er habe das Gefühl, dass die Nachfrage nach Biofleisch im Gastronomiebereich auch dank des neu gegründeten Bio-Wirtenetzwerks in der Ökomodellregion wachse. Allerdings sei insgesamt noch mehr Überzeugungsarbeit für Bio zu leisten.
Mehr Überzeugungsarbeit und Unterstützung für Bio seitens der Politik wünschen sich Gertraud Angerpointner und Georg Planthaler, die auf der Fürmann Alm in Anger eine ökologische Landwirtschaft mit Pinzgauer Rindern betreiben. In der dazugehörigen Gastwirtschaft gibt es ausschließlich Biofleisch von den eigenen Tieren, was die Gäste sehr schätzen. Es braucht vor allem sichere Abnahmestellen für die Biobauern, so Planthaler. Er sieht viel Potential für Bio-Lebensmittel im öffentlichen Bereich, wo man den Ökoanteil etwa in Betriebskantinen, in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen, aber auch in Restaurants erhöhen könnte. In Schulen und Kindergärten müsste seiner Meinung nach ebenfalls mehr Bio auf den Speiseplan, auch wenn es etwas teurer ist: „So könnte man schon die Kinder auf die richtige Spur bringen“. Und weiter: „Weil wir bei uns in der Gegend alles da haben, gäbe es so viele Möglichkeiten – wenn man nur mögen würde“. Er favorisiert regionale Bioprodukte, warnt allerdings davor, die Begriffe „ökologisch“ mit „regional“ oder „nachhaltig“ zu vermischen, weil dadurch die politischen Rahmenbedingungen ökologischer Produktion aufgeweicht würden.
Viele Selbstvermarkter von Bio-Rindfleisch überzeugen ihre meist Stammkundschaft durch zusätzliche Leistungen. So punktet etwa die Familie Rehrl vom „Rehrl“-Hof in Kemating, Gemeinde Saaldorf-Surheim, die schon seit fast dreißig Jahren Rinderhaltung betreibt, mit einem eigenen Schlachthaus mit Kühl- und Zerlegraum, in dem ein Metzger das Jungrindfleisch küchenfertig herrichtet. Seit einigen Jahren haben die Rehrls auf Bio umgestellt und sind damit sehr zufrieden. „Zu Anfang war es zugegebenermaßen der finanzielle Aspekt durch die staatliche Umstellungsprämie, aber inzwischen ist es die Wirtschaftsweise, die uns überzeugt“, so Peter Rehrl.
Dass das Fleisch von Rindern, die beim Schlachten keinem Stress ausgesetzt sind, viel besser schmeckt, hat schon vor mehr als dreißig Jahren Alfons Schuhbeck gewusst und sich nach regionalen Rinderhaltern umgesehen, die seinen hohen Ansprüchen entsprachen. Fündig wurde er bei den Auers in Stützing bei Saaldorf. Das war 1989, und der Sternekoch wurde Hans-Jürgen Auers erster Kunde. Seitdem ist er mit einem Teil seiner Pinzgauer Rinder, die er auf der Weide grasen lässt, als Selbstvermarkter tätig - bislang noch konventionell, wobei, so Auer, die „Bio-Schiene für uns durchaus machbar wäre, da die Tiere bio-ähnlich aufwachsen“.
Es gäbe noch etliche andere Bio-Höfe, die mit ihrer Viehhaltung und ihren Vermarktungsideen den regionalen Markt repräsentieren und Lust auf Bio machen. Und auch Marlene Berger-Stöckl von der Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel hat noch einiges auf Lager, etwa den weiteren Ausbau des Bio-Wirte-Netzwerks und der „Biogenussplattform“ zum Bestellen und Liefern von Bioprodukten. Man darf gespannt sein.
Preisanalysen
Hinsichtlich der Preise für die Erzeuger ist es so, dass jede Woche von diversen Stellen, unter anderem von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Preise für geschlachtete Rinder herausgegeben werden und zum Beispiel im Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt veröffentlicht werden. Die Zuschläge, die es für Bio-Rinder gibt, sind dort nicht gelistet, sondern werden zwischen Erzeuger und Abnehmer verhandelt. Das Institut für Ernährungswirtschaft und Märkte, das wiederum zur Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft gehört, gibt regelmäßig Marktberichte heraus. Johannes Enzler ist für den Bereich „Ökologische Land- und Ernährungswirtschaft“ zuständig. Auf Nachfrage der Heimatzeitung, warum in den Preisanalysen nicht zwischen Bio- und konventioneller Ware unterschieden wird, erklärt Enzler, dass dies wegen der unterschiedlichen Absatzwege schwieriger sei. Weil das Ministerium jedoch die Markttransparenz fördern wolle, sollen die Preise für Bio-Produkte, also auch für Bio-Rindfleisch, ab Frühjahr nächsten Jahres veröffentlicht werden.