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Streuobstwiesen als blühende Biotope - "Anleger" für neue Wiesen gesucht
Gemeinsame Führung des Kreisfachberaters und des Landschaftspflegeverbands in der Ökomodellregion Waginger See - Rupertiwinkel
„Die Aktion blühender Landkreis in Traunstein war kein Strohfeuer, sondern wird in den nächsten Jahren konstant fortgesetzt – und Streuobstwiesen leisten dafür einen wichtigen Beitrag, weil sie für Honig- und Wildbienen eine sehr gute Trachtquelle sind“, so stimmte der neue Kreisfachberater für Gartenkultur, Markus Breier, die ca. 30 interessierten Teilnehmer auf dem Gang zur Obstwiese der Familie Geisreiter in Zözenberg bei Waging ein.
Vielfältiger Obstanger mit langer Geschichte
Wie Anni Geisreiter erläuterte, hat der Obstanger unterhalb des Bauernhofs mit Blick über Waging eine lange Geschichte: Schon Großvater Geisreiter legte den weitläufigen Obstanger an und legte größten Wert auf seine Pflege, auf vorsichtiges Beernten und den Erhalt verschiedenster Lokalsorten. Das Obst wurde nicht nur für den Frischverzehr angelegt, die Verarbeitung zu Most, Kletzen (gedörrte Birnen), zum Kochen, Backen, Einwecken und Einlagern spielte eine große Rolle. 40-50 Obstbäume um jeden Bauernhof waren eine Selbstverständlichkeit, sodass von Frühsommer bis zum Spätherbst zahlreiche Obstvarianten geerntet wurden, von Klarapfel bis Boskop oder Goldparmäne.
In den fünfziger Jahren konnte sich Deutschland beim Obst deshalb noch weitgehend selbst versorgen, wie Carsten Voigt vom Landschaftspflegeverband Traunstein als Mitveranstalter ergänzte, allein in Bayern gab es die heute kaum vorstellbare Zahl von 1.200 Apfelsorten. Zum Vergleich: Weltweit prägen heute ca. 30-35 Apfelsorten das Verkaufssortiment. Auch der Chiemgau und Rupertiwinkel waren von Obstangern ganz selbstverständlich geprägt, darunter viele regionale, ans lokale Klima hervorragend angepasste Sorten. Ab den fünfziger Jahren leiteten die verbesserten Einkaufsmöglichkeiten für Importobst, ein anderer Lebensstil und sogar damalige staatliche Rodeprämien – um den Erwerbsobstbau anstelle des Streuobstes zu fördern - eine Umkehr dieser Entwicklung ein. Heute sind mindestens 80% der damaligen Obstanger gerodet, der Rest oft nur noch rudimentär vorhanden. Verschwunden ist damit auch die großartige Vielfalt von Obstsorten für jeden Verarbeitungszweck, verschwunden ist der damit verbundene Erfahrungsschatz in Bezug auf die Sortenkenntnisse, parallel dazu ist eine äußerst reiche Tier- und Pflanzenwelt, die an extensive Obstanger angepasst war, in ihrer Existenz bedroht.
Totholz belassen
Anders ist das im Obstanger der Familie Geisreiter, der nebenbei von Rindern beweidet wird. Durch nachgepflanzte Jungbäume bleibt der Bestand erhalten. Einige ca. 70 Jahre alte Obstbäume stehen noch und haben sich zu echten Biotopbäumen entwickelt. Auf Anraten des Landschaftspflegeverbands und des Kreisfachberaters wird Totholz größtenteils belassen – und damit Höhlen für Siebenschläfer und Fledermäuse, morsches Holz für Käfer und Insekten und Wohnraum für Eulen oder den Grünsprecht. Je vielfältiger das Ökosystem ist, desto stabiler ist es. So leisten z.B. Vögel einen wichtigen Beitrag zur Vertilgung von Schadinsekten oder ein Hornissenvolk kann tausende von Wespen als Beutetiere vertilgen, wie Breier und Voigt anhand eines eindrucksvollen hohlen Birnbaums erläuterten. Stolz präsentierten einige der anwesenden Kinder ihre in der Becherlupe gefangenen Laufkäferarten.
Landkreis und Gemeinden sind gefordert
Kommt der Name Streuobstwiese von Einstreu?, wollten die Teilnehmer wissen. Nein, klärte Carsten Voigt auf, der Name bezieht sich auf die verstreute Anlage der Bäume. Und wie schaut es heuer mit den Frostschäden aus? Solang die Blüte noch zu ist, so Markus Breier, bestehen gute Chancen, dass der größte Teil der Blüten den Frost letzter Woche übersteht. Ab minus 2 Grad kann es allerdings kritisch werden, vor allem bei geöffneten Blüten. Welche Tierarten sind zur Beweidung der Obstwiese geeignet? Bei Rindern sollten die Bäume mit einer Einzäunung geschützt werden, Schafe und vor allem Ziegen sind schlecht zur Beweidung geeignet, während sich Gänse dafür anbieten, so Berger-Stöckl. Wichtig war den Teilnehmern, dass weitere Maßnahmen zum Schutz der Wildbienen vom Landkreis und der Ökomodellregion ergriffen werden, so z.B. bei der Pflege kreiseigener und kommunaler Flächen.
Anders als im Erwerbsobstbau wird der Streuobstanger nicht mineralisch gedüngt und nicht mit Pflanzenschutzmitteln behandelt. Wichtig sei es heute, Sorten auszuwählen, die gegen Krankheiten wie Schorf oder neue eingeschleppte Krankheiten weitgehend resistent sind, erläuterte Georg Blank Senior, der selbst nicht Streuobstanbau, sondern Erwerbsobstbau in Waging betreibt und seit Jahrzehnten ein erfahrener Kenner von Obstsorten und ihren Eigenschaften ist.
„Anleger“ für neue Streuobstwiesen gesucht
Die Ökomodellregion Waginger See- Rupertiwinkel will 1.500 Streuobsthochstämme neu pflanzen, so Marlene Berger-Stöckl, Projektmanagerin. Gut 500 davon wurden seit Anfang 2015 gepflanzt, die meisten davon rund um Waging, auf landwirtschaftlichen, privaten und kommunalen Flächen; die Mindestgröße beträgt 8 Stück. Das Pflanzgut wird zu 100% bezuschusst. Weitere „Anleger“ von Streuobsthochstämmen sind deshalb gesucht! Kooperationspartner ist auf Traunsteiner Seite der Landschaftspflegeverband Traunstein, der den Förderantrag für alle zu bepflanzenden Flächen stellt. Auf Berchtesgadener Seite übernimmt dies die Biosphärenregion, hier wird seit zwei Jahren ebenfalls mit großem Erfolg gepflanzt. Der Eigentümer muss die Bäume selbst pflanzen und kümmert sich um die Pflege, es sei denn, er findet einen Baumpaten, der ihn dabei unterstützt – 10 Baumpaten hat die Ökomodellregion bereits vermittelt. Das Programm wendet sich besonders an Landwirte und Wiesenbesitzer in Ortsrandlage, so wurde z.B. auf dem Mühlberg in Waging oder in St. Coloman in Tengling neu gepflanzt. Wer Obstwiesen neu anlegt, erntet nicht nur gesundes und schmackhaftes Obst – er handelt nachhaltig und tut etwas für die nächste Generation, er bewahrt unsere Kulturlandschaft und schafft gute Lebensbedingungen für eine Vielzahl stark bedrohter Tier- und Pflanzenarten, das wurde auf der Führung deutlich.
Rechtzeitig Ortstermin vereinbaren
Da der Förderantrag in Kürze gestellt werden muss, sollen sich alle interessierten Wiesenbesitzer bis Ende Mai, spätestens Anfang Juni beim Landschaftspflegeverband unter 0861 /58-393 oder, falls die Wiese in der Ökomodellregion liegt, unter 08681/ 4005-37 melden, um einen Ortstermin zu vereinbaren.
Bericht von Hans Eder/ Ökomodellregion, erschienen am 08.05. in der SOR (Südostbayerische Rundschau)