Milch und Fleisch in den Einkaufskorb!

Artikel von Ulrich Mück aus der Fachzeitschrift „Ökologie und Landbau“ 197 vom Januar 2021

Das Öko-Ernährungsverhalten klafft auseinander. Der Biomilchmarkt boomt – aber rindfleischlose, vegetarische und vegane Öko-Ernährung ist hip. Ohne Rindfleischkonsum ist nachhaltige Ökolandwirtschaft jedoch nicht realisierbar, meint Berater Ulrich Mück.

Ökorinderhaltung verknüpfen Verbraucherinnen und Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung häufig mit der natürlichen Lebensweise von Milchkuh, Kalb und Stier im Herdenverbund. Oft gehört auch ein möglichst langes Leben des auf einem Ökobetrieb geborenen Milchvieh-Kalbes für Konsument*innen in dieses Bild. All das ist möglich, sofern ein entsprechendes Ernährungsverhalten bestünde mit kostendeckenden Preisen. Nachdem das wertvolle Fleisch des herangewachsenen Kalbs nicht zu einem angemessenen Ökopreis gekauft und anschließend verzehrt wird, fällen die Milchviehalter*innen für das Kalb meist jedoch einen einschneidenden Entschluss: Nach wenigen Wochen kommt der Viehhändler, um es abzuholen. Die Biographie des Kalbes erfährt dadurch einen herben Bruch. Danach ist die Aussicht auf artgerechte (Bio-)Haltung mit Galoppieren auf der Weide sehr gering. Etwa 60 Prozent der Ökomilchvieh-Kälber gehen diesen Weg und dürfen nicht auf Ökobetrieben aufwachsen. Die Diskrepanz zwischen Verbrauchererwartung und Realität gefährdet die Glaubwürdigkeit der ökologischen Milchviehhaltung und Milcherzeugung. Doch auch grundsätzlich stellt sich die Frage, wie Ökolandbau als Landbausystem in Deutschland mit einem Grünlandanteil von über 65 Prozent[1] (Dauergrünland und Acker-Grünland mit Kleegraskulturen) zwar mit starker Milchnachfrage, aber ohne entsprechende Rindfleischnachfrage zukunftsfähig bleiben will?

[1] Laut Statistischem Bundesamt (2019) liegt der Öko-Dauergrünlandanteil bei 57 Prozent. Der Flächenanteil von Ökokleegras ist nicht ausgewiesen, aber sicher über 20 Prozent der Ackerfruchtfolge.

Wieviel Ökorindfleisch pro Liter Biomilch?

An dieser Stelle kann die Ökotrophologie neue Denkansätze liefern. Ernährungsökologie als deren wissenschaftliche Teildisziplin beschäftigt sich ausgehend vom Ernährungsverhalten von Verbraucher*innen mit Fragestellungen zu den entstehenden (ökologischen) Wirkungen. Auch die Auswirkungen divergenter Kaufentscheidungen werden hier untersucht, also im vorliegenden Fall für Milch, aber gegen Rindfleisch. In diesem Sinn kann verbraucherorientiert die Frage gestellt werden: Wieviel Rindfleisch müsste im Verhältnis zu einem Liter Ökomilch im Einkaufskorb liegen, damit Biomilchviehkälber auf Ökobetrieben aufgezogen und bis zur Schlachtung dort gehalten werden können? Dies zieht komplexe Berechnungen nach sich: Um das notwendige Verhältnis von Ökofleisch zu Biomilch und dessen Spanne zu ermitteln, wurden drei Ökobetriebstypen mit 40 Milchkühen und drei Ökomastverfahren (inkl. Fleischanteil Altkuh/ Stier) berechnet. Entsprechend des Betriebstyps und des Mastverfahrens variieren die berücksichtigten Faktoren teilweise. Der Ansatz der anderen Faktoren bleibt bei allen Verfahren und Betriebstypen gleich.  

Die Berechnung bezieht sich auf den Teil der Jahresmilchmenge einer Milchkuh, der bis in den Verkauf gelangt und dort als Ökomilch vom Käufer erworben wird. Von der tatsächlichen Milchleistung der Kuh werden bei allen Modellen Verluste in der Molkerei und Verderb im Handel abgezogen. Je nach Betriebstyp kommt mehr oder weniger Milch für die Kälberaufzucht als Verlust hinzu (siehe Tabelle 1, oberer Teil). Die Betriebstypen sind (A mittlere Milchleistung, mit kuhgebundener Kälberhaltung und Stier, B mittlere Milchleistung, mit Eimertränke und künstlicher Besamung, C hohe Milchleistung, Eimertränke und künstliche Besamung). (Anmerkung der Redaktion: Die Tabelle finden Sie in der beigefügten PDF-Fassung.)

Dem gegenüber wird die Menge des als Lebensmittel verwerteten und am Verkaufsort angebotenen Rindfleischs aller aus Milchvieh-Kälbern entstandenen Tiere aus drei verschiedenen Mastverfahren gestellt, sowie der Fleischanteil der Altkuh und eines Deckstieres, sofern er am Hof gehalten wird (siehe Tabelle 1, mittlerer Abschnitt). (Anmerkung der Redaktion: Die Tabelle finden Sie in der beigefügten PDF-Fassung.)

Diese Fleischmenge wird auf die durchschnittliche Milchkuh des jeweiligen Betriebstyps und deren jährlich als Frischmilch in den Verkauf gelangende Milchmenge bezogen. Die relevanten Faktoren sind Zwischenkalbezeit, lebend geborene Kälber je Geburt, Anteil männlicher Kälber, Remontierung Altkuh, Kälbersterblichkeit, Kuhsterblichkeit mit Nichtverwertung, Abtropfverlust und Ausschlachtung. Variierende Faktoren sind abhängig vom Betriebstyp und Mastverfahren, dies sind die Remontierung des eigenen Deckstiers, das Lebensalter der geschlachteten Tiere, Warm-Schlachtgewicht, Zerlegeverluste sowie die Verwertung der Innereien.

Die Spanne des entstehenden Rindfleischs je Liter Öko-Milch liegt zwischen 18 und 31 Gramm. Zwischen den Betriebstypen herrscht eine deutlich größere Spanne als zwischen den Mastverfahren. Je höher die Milchleistung, umso weniger Fleisch entsteht je Liter Milch. Der Unterschied zwischen einem Verfahren mit kuhgebundener Kälberhaltung und dem mit Eimertränke ist nicht sehr groß. Es entsteht etwa 15 Prozent mehr Fleisch je Liter Milch, weil die ans Kalb getränkte Milchmenge die Menge an Verkaufsmilch reduziert.

Ökolandbau nur mit Rindfleisch

Ökomilch, Biogrünland und -Kleegras im Ackerbau braucht Rinder und gleichzeitig Menschen, die Ökorindfleisch essen. Von letzteren gibt es aktuell viel zu wenig. Das kann sich nur ändern, wenn Verbraucher*innen ein entsprechendes Bewusstsein vermittelt bekommen - und dies auch mit konkreten Zahlen:

Wer einen Liter Biomilch kauft, sollte zudem 25 Gramm Ökorindfleisch in seinen Einkaufskorb legen.

Dann kann auch das Kalb auf Ökobetrieben artgerecht gehalten und aufgezogen werden. Künftig sollte es darum gehen, die lebensbezogenen Zusammenhänge der Rinderhaltung von Milch, Kalb, Kuh und Masttieren sowie die Bedeutung des Ökogrünlands und der Rinder zu verdeutlichen, damit Konsument*innen eine Wertorientierung für die mögliche Änderung ihres Ernährungsverhaltens erhalten. Hierfür bedarf es der Anstrengung vieler Akteure. Neben den Ökobäuerinnen und –Bauern sowie den ernährungsbewussten Verbraucher*innen sind auch die Ökoverbände mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit gefragt. Aber vor allem muss dieses Thema in die Lehrpläne allgemeinbildender und beruflicher Schulen aufgenommen werden. Ein wirklich nachhaltiger Ökolandbau ist bei einem Grünlandanteil von 65 Prozent an den Ökoflächen in Deutschland nur mit Rindfleisch und einem veränderten Bioernährungsverhalten möglich. Andernfalls steht die Zukunftsfähigkeit und Glaubwürdigkeit des Ökolandbaus zur Disposition.

Literatur:

Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (2019): IEM-Information „Flächennutzung im Ökologischen Landbau in Bayern 2019“. Online unter: https://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/iem/bilder/%C3%96ko-lf_by_2019_internet.pdf

Statistisches Bundesamt (2019): Statistisches Jahrbuch 2019, S.496. Online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/statistisches-jahrbuch-2019-dl.pdf?__blob=publicationFile

Landeskuratorium der Erzeugerringe für tierische Veredelung in Bayern e. V. (2019): LKV Jahresbericht Bayern (hier: Milchleistungsprüfung 2019, Fleischleistungsprüfung 2019). Online unter: http://www.lkv.bayern.de/lkv/medien/Jahresberichte/mlp_jahresbericht2019.pdf

Kiefer L., Weiß D. (2016): Leitfaden Bio-Kälberaufzucht für die Nachzucht und Rindermast. Online unter: http://www.lukas-kiefer.de/downloads/Leitfaden_Kaelberaufzucht.pdf

Eigene Datenerhebung bei Öko-Metzgern, Bio-Fleischvermarktern, Naturkosthändlern und Öko-Molkereivertretern

Bericht von Ulrich Mück, Demeter-Berater, mueck@organismus.farm

Ulrich Mück ist Demeter-Fachberater für Grünland, Stallbau und Herdenführung horntragender Milchkühe und hat uns diesen Fachartikel vorab zukommen lassen.

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