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Kristine Rühl: „Von der Vision in die Tat zu kommen, das wünsche ich jedem Menschen“
Die Vielfalt von Biohöfen in der Ökomodellregion ist groß. Wer einen Eindruck von den Menschen gewinnen möchte, die ihren Hof mit viel Kenntnissen, mit Ideenreichtum und Idealismus in die Zukunft führen, der schaut unter dem folgenden Link:
https://oekomodellregionen.bayern/waginger-see-rupertiwinkel/menschen .
Auch einige Porträts von bio-verarbeitenden Unternehmen oder Lebensmittelhandwerkern finden Sie dort – sie sind wichtige Abnehmer für heimische Bioprodukte, und damit Wegbereiter für eine nachhaltige Landwirtschaft.
Unser jüngstes Beispiel zum Jahresabschluss ist das aktualisierte Porträt von Kristine Rühl, die mit der „Solidarischen Landwirtschaft Chiemgau“ in Waging eine neue Form von Landwirtschaft betreibt.
Betriebsporträt von Karin Kleinert
Mehr als 50 verschiedene Gemüse- und Obstkulturen baut Kristine Rühl auf ihrem Demeter-zertifizierten Acker in Tettenberg in der Nähe von Waging an. Die innovative und engagierte Quereinsteigerin gründete 2014 den landwirtschaftlichen Betrieb und 2018 die SoLaWi Chiemgau. SoLaWi bedeutet „solidarische Landwirtschaft“. Das Konzept dieser besonderen Wirtschaftsform beruht darauf, dass Verbraucher dem Landwirt oder Gärtner ganzjährig die Abnahme eines monatlichen Ernteteils garantieren und damit auch einen Teil des Bewirtschaftungsrisikos mittragen. Außerdem können sich die Abnehmer auf unterschiedliche Weise einbringen. Für Kristine Rühl und ihre Mitstreiter, die sogenannten Ernteteiler, sind der persönliche Kontakt und das gemeinsame Arbeiten eine Bereicherung.
Der berufliche Werdegang der Baden-Württembergerin, die in jungen Jahren in den Chiemgau kam, ist beeindruckend: Nach einer klassischen Handwerksausbildung zur Schneidermeisterin machte sie eine Ausbildung zur Werbekauffrau und war danach im Bereich Graphik und Marketing tätig. Sie gründete in Siegsdorf ihre eigene Werbeagentur, die sie 15 Jahre leitete. Weil ihr die ökologische Landwirtschaft seit jeher am Herzen lag und sie „zurück zu den Wurzeln“ wollte, wie sie es in ihrer sympathischen Art formuliert, wollte sie draußen in der Natur und im eigenen Rhythmus arbeiten.
Kristine entdeckte ihre Liebe zum Gärtnern, bildete sich durch ein mehrmonatiges Praktikum auf einem Biogemüsebetrieb weiter und vertiefte ihr Wissen in Kursen. Mit Ende vierzig entschied sie sich, die Agentur aufzugeben und selbst einen landwirtschaftlichen Gartenbaubetrieb aufzubauen. 2013 konnte sie ein passendes, 1,3 Hektar großes Grundstück zwischen Otting, Waging und Taching am See zusammen mit zwei Tagwerk Wald in der Nähe erwerben. Sie entwickelte das Gelände weiter, ließ eine Wasserleitung verlegen und baute kleine Foliengewächshäuser für eine Verlängerung der Anbausaison in den Winter.
Artenvielfalt wird im Anbausystem von Kristine von Haus aus mitgedacht und durch zusätzliche Maßnahmen flankiert – so wurde neben dem biologischen Acker eine kleine offene Wasserfläche als Rückhaltebecken angelegt, es wurden Totholzhecken errichtet und Obstbäume und Beerensträucher gepflanzt. Damit ist Kristines SoLaWi auch Pionierin im Anlegen einer Agroforstkultur mit vielfältigem Nutzen.
„Von der Vision in die Tat zu kommen, das wünsche ich jedem Menschen“, betont die Quereinsteigerin. Sie schaute sich nach einem für sie passenden Konzept um und stieß dabei auf das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi). Beim Beraternetzwerk der SoLaWi erhielt sie alle notwendigen Informationen, so dass sie die SoLaWi Chiemgau gründen konnte. Dieses System funktioniert dadurch, dass eine Gruppe von Menschen die Arbeit eines Bauern oder Gärtners zu festen monatlichen Beträgen finanziert und dafür einen Teil der Ernte bekommt. Doch nicht nur die Ernte wird geteilt, sondern auch das Anbaurisiko und die Arbeit. Bei sehr guter Ernte kann der Inhalt der Kiste etwas höher ausfallen, bei Schäden wie zum Beispiel einem Hagelunwetter auch einmal geringer. Daher der Name „solidarische Landwirtschaft“.
Seit 2018 betreibt Kristine Rühl diese besondere Form der gemeinschaftlich getragenen Landwirtschaft im Vollerwerb. Sie hat rund 70 bis 80 Ernteteiler (Stand Herbst 2025), also Privatleute und Einrichtungen wie den Campus St. Michael in Traunstein, die von März bis Dezember einen Ernteteil kaufen. Ein Ernteteil kostet monatlich 60 € pro Person, die Vereinbarung gilt für 10 Monate. Die anfallenden Arbeiten werden aufgeteilt, einige Verbraucher arbeiten aktiv auf dem Feld mit, andere unterstützen bei der Aufzucht der Jungpflanzen, transportieren die Gemüsekisten zu den Abholstellen oder helfen bei Werbemaßnahmen in den sozialen Medien. Einige Menschen sind sehr engagiert und mit viel Idealismus in der SoLaWi aktiv, andere Menschen haben wenig Zeit und holen nur ihren Ernteanteil ab. Die gefüllten Erntekörbe stehen einmal wöchentlich an festen Abholstellen bereit.
Unter Federführung von Kristine wird auf den 13 000 Quadratmetern gemeinsam gesät, gepflanzt, gejätet und geerntet. Die Vielfalt auf dem Feld ist riesig, reicht von Gemüse-Klassikern wie Paprika, Tomaten, Karotten, Rettichen, Pastinaken, Kraut, Zwiebeln über diverse Salat- und Kohlsorten, Grünspargel, Mangold, Auberginen bis hin zu Brennesseln, Kräutern und Tee. 2021 konnte sie dank einer Crowdfunding-Aktion 100 Obstbäume und 500 Beerensträucher kaufen und pflanzen, auch diese in zertifizierter Demeter-Qualität. Zigtausende von Jungpflanzen aus samenfesten Sorten zieht Kristine darüber hinaus selbst vor. Der Arbeitsaufwand dahinter ist immens.
Angebaut wird auf mehr als 100 streifenförmigen Dauerbeeten mit schmalen begrünten Wegen dazwischen. Die Fruchtfolge ist sehr wichtig und richtet sich nach einem ausgeklügelten System. Großen Wert legt Kristine Rühl auf eine wenn möglich permanente Bodenbedeckung und die Düngung. Die Bedeckung besteht aus Mulch und Untersaaten, die Düngung aus einer speziellen Kombination aus Gründüngung und Mist von Kühen eines Demeter-Bauern aus der Nähe. Durch diese Faktoren konnte Kristine die Bodenstruktur im Laufe der Jahre verbessern. Ihr Ziel ist es, Humus aufzubauen.
Kristine und ihre Helfer arbeiten zum großen Teil mit der Hand. Um den Einsatz bei der Pflege der Beete zu reduzieren, kommen aber auch Maschinen wie zwei Einachser, ein Aufsitzmäher und ein Drei-Rad-Mäher zum Einsatz. Die professionelle Mähtechnik konnte Kristine Rühl mit Hilfe der Kleinprojekteförderung der Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel (ÖMR) erwerben, die die SoLaWi Chiemgau von Anfang an unterstützte.
Kristine Rühl geht es um mehr als nur den Gemüseanbau und die nachhaltige, marktunabhängige Produktionsweise. Ihr ist auch die Bildungsarbeit ein großes Anliegen, weshalb sie 2024 eine Weiterbildung zur „Bodenbotschafterin“ machte. So versucht sie, bei Jung und Alt ein Bewusstsein für den Boden als lebendigen Organismus zu schaffen – ein lebendiger, fruchtbarer Boden ist das Fundament des Ökolandbaus.
Im Sommer 2025 organisierte Kristine erstmals eine „Bildungswoche Biolandwirtschaft“ auf ihrem Acker, deren pädagogisches Programm in Zusammenarbeit mit der Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) Laufen erarbeitet wurde. Organisatorische Unterstützung leistete die Gemeinde Taching, finanzielle Unterstützung im Rahmen der Kleinprojekteförderung die Ökomodellregion. Vierzig Grundschulkinder bekamen so auf Kristines Gelände die Möglichkeit, die Landwirtschaft und den Biogemüseanbau spielerisch kennenzulernen.
Eine besondere Anerkennung erfuhr Kristine Rühl und ihre SoLaWi Chiemgau, als sie im Frühjahr 2024 in das Netzwerk „Demonstrationsbetriebe Ökologischer Landbau“ aufgenommen wurde. Ihr landwirtschaftlicher Gartenbaubetrieb in Tettenberg gehört damit zu einem von 240 Bio-Bauernhöfen in Deutschland, die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft als Vorzeigebetriebe der ökologischen Landwirtschaft ausgewählt wurden.









