„Der Weg einer solidarischen Bürgergesellschaft ist möglich!“

Weyarns Bürgermeister Michael Pelzer sprach beim Agenda21-Arbeitskreis in Laufen

Weyarns 1. Bürgermeister Michael Pelzer im angeregten Gespräch mit Stadträtin Agnes Thanbichler und dem Laufener Altbürgermeister Ludwig Herzog.
Weyarns 1. Bürgermeister Michael Pelzer im angeregten Gespräch mit Stadträtin Agnes Thanbichler und dem Laufener Altbürgermeister Ludwig Herzog.

Alle reden von der Krise der Bürgergesellschaft, vom Vertrauensverlust der Politik. Weyarns 1. Bürgermeister Michael Pelzer geht seit 1990 einen anderen Weg: engagierte Bürger gelten nicht als Störfaktor, sondern sind aufgefordert, gemeinsam mit dem Gemeinderat und der Verwaltung das kommunale Heft selbst in die Hand zu nehmen. Wie dies funktioniert, erläuterte Pelzer anschaulich beim Agenda21-Arbeitskreis im Laufener Rottmayrsaal.

Die einladende Stadtratsreferentin Agnes Thanbichler versprach sich an diesem Abend „Aufklärung“ über das „Demokratiewunder“ der oberbayerischen Gemeinde Weyarn, begrüßte Altbürgermeister Ludwig Herzog sowie 2. Bürgermeister Franz Eder. Der ehemalige Sozialdemokrat und heute parteilose Michael Pelzer ist seit 22 Jahren Bürgermeister, wollte 1990 nur die „Alternative“ zum befreundeten CSU-Kandidaten bieten und viele ungelöste Dinge wie eine Mehrzweckhalle oder ein neues Feuerwehrhaus angehen. „Wir hatten damals nur geradeaus gedacht und dabei übersehen, daß die Dorfmitte ‚todelt’, der Siedlungsdruck aus München enorm ist und sich Infrastrukturverlust und Resignation breit macht.“ Weyarn besteht aus 22 Dörfern, einer Bevölkerungsdichte „wie Kasachstan“, eingeklemmt zwischen der Landeshauptstadt und der ebenfalls bevölkerungsreichen Tegernseeregion. Zu Hilfe kam Pelzer damals das Bayerischen Dorferneuerungsprogramm, welches eine Bürgerbeteiligung als Grundlage für Maßnahmen vorsah.

„Mehr Demokratie wagen“

In einem ausführlichen Findungsprozess wurden Ziele formuliert: Dezentralität, nachhaltige Entwicklung, kein Flächenverbrauch, Erhalt der Dörfer, verbunden mit dem Leitsatz des Bundeskanzlers Willy Brandt, „mehr Demokratie wagen“, und gleichzeitig mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. „Wir brauchten also viel Zeit und Geduld“, so Pelzer, um Stärken und Schwächen in einer Bestandsaufnahme zusammen zu fassen, Entscheidungen aufzuschieben, damit die Bürger über Ziele diskutieren und diese dokumentieren konnten. Am Ende dieser mehrjährigen Diskussion standen ein Leitbild und ein Maßnahmenkatalog für Weyarn.

„Der Bürgermeister muß auch mal die Klappe halten“

Grundlage dieses Prozesses war eine ständige Information, ein Regelwerk über Rechte und Pflichten für alle Beteiligten, die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen sowie Professionalität, also Hilfestellung von außen. „Der Bürgermeister muß auch mal die Klappe halten“, so Pelzer und die Diskussionsleitung einem Profi überlassen. Wenn etwas erfolgreich ist, gehört eine Anerkennungskultur dazu, Ehrenamt und Patenschaften erhalten so eine neue Qualität. „Stolpersteine“ wie Parteipolitik, Denken ausschließlich in Legislaturperioden, „losgelöstes“ Verwaltungshandeln oder Misstrauen gegenüber den verschiedenen Handelnden ließen sich im Laufe des Prozesses dadurch abbauen, weil auch gemeindliche Haushalte Inhalt von Bürgerbeteiligung sein können, themenbezogene Werkstätten („Bürgerwerkstätten“) organisiert wurden und professionelle Hilfe durch Architekten oder Soziologen für diese Arbeitskreise Grundvoraussetzung des Handeln wurden. Dazu wurden im Haushalt Budgets zur Verfügung gestellt, sowohl der Gemeinderat als auch die Bürgerwerkstätten sind protokollpflichtig und tagen öffentlich. Daneben stand es des Aktiven frei, sich auf Kosten der Gemeinde weiter zu qualifizieren und fortzubilden. Auch wollte man über den Tellerrand hinausschauen, Exkursionen für Stadtrat und Bürgerwerkstätten standen oft auf der Tagesordnung.

„Dörfliche Struktur erhalten“

Schlüssel für den Erfolg Weyarns ist nach den Worten des Bürgermeisters die Verhinderung zentraler Gewerbegebiete oder Trabentensiedlungen, denen die dörfliche Struktur fehlt, weil sie nur „Schlafstätten“ sind. „Wohnen und Arbeiten am Ort“ wurde als Ziel formuliert und Gewerbe an Ort und Stelle teilweise über Modellgenehmigungen genehmigt. Der Zuzug nach Weyarn ist daher wesentlich geringer ausgefallen als in den benachbarten Gemeinden und dieser Prozess der in der vorhandenen Sozialstruktur gewachsenen Entwicklung hält nur schon über zwanzig Jahre an.

Alle Planungsergebnisse der Bürgerwerkstätten wurden dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt, wobei ein Verantwortlicher benannt und das Thema und die Zielsetzung konform zum Leitbild der Gemeinde sein musste. Seit 1993 wurden die Vorschläge der Bürgerwerkstätten immer positiv beschieden, obwohl der Gemeindrat nicht weisungsgebunden ist. Herausgekommen sei ein kostenbewußtes Handeln, so Pelzer, weil sich der Gemeinderat der Zustimmung der Menschen sicher sein kann, nachweislich weniger Reparaturaufwand entsteht und alle Beteiligten ihre Gemeinde zuversichtlicher betrachten, weil sich jeder ernst genommen fühlt.

Anhand vieler Beispiele erläuterte der Weyarner Bürgermeister den Erfolg von Bürgerbeteiligung. So entschieden und planten Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam mit Architekten, Verwaltung und Gemeinderat die neue Schule, die die Voraussetzungen „viel Grün“, „wir wollen uns sehen“, „viel Licht“, „viel Wasser“ und „ohne Autos“ erfüllen musste. Im Ergebnis sparte man sich auf diese Weise rund 800.000 € ein, weil Eigenleistungen und viele klärende Aussprachen finanziell ergiebiger waren als die Mittel (rund 50.000 €), die man in diesen Beteiligungsprozess gesteckt hatte. Ähnlich lief es bei der Schaffung eines neuen Dorfladens ab, bei dem die Gemeinde eigentlich nur das Gebäude (ein altes Bauernhaus), fachliche Beratung und eine Bürgschaft zur Verfügung stellen musste. Engagierte Frauen gaben 50-€-Anteile aus, organisierten Einkauf und Verkauf und seit 2005 funktioniert der Dorfladen auch wirtschaftlich erfolgreich. Zum kulturellen Mittelpunkt entwickelt sich auch die ehrenamtlich geführte Bücherei, der die Gemeinde eine „Anschubfinanzierung“ von 30.000,- € zukommen ließ; heute hat der Büchereiverein 670 Mitglieder und 25 Aktive, die den Betrieb sicher stellen.

Als eher selten in Bayern gestaltete sich der „Rückbau“ der den Ort „durchschneidenden“ Staatsstraße, weil die Straßenbaubehörde einer Verengung von 8 auf 6,5m Breite einschließlich Überquerungshilfen, Grünstreifen, Bäumen und Radlweg sich nicht vorstellen, geschweige denn genehmigen wollte. Heute wird der gesamte innerörtliche Grünstreifen von „Paten“, also den Anliegern gepflegt, ein  Patenschaftsessen als Dank findet jährlich statt. Weitere Projekte waren die Reaktivierung des Klosters, der Erhalt der landwirtschaftlichen Hofstruktur, mit dem Ziel, Handwerk und Betriebe an Ort und Stelle „unter zu bringen“. Insgesamt sind 174 Betriebe mit rund 600 Arbeitnehmern so neben den 40 Haupterwerbslandwirten in ihrem Bestand gesichert worden.

„Energiebedarf bis 2025 ausschließlich mit erneuerbarer Energie“

Die aktivste Bürgerwerkstatt beschäftigt sich derzeit mit dem Energieverbrauch in Weyarn. Ziel ist es, den Energiebedarf der Gemeinde bis zum Jahr 2025 vollständig aus erneuerbaren Energiequellen zu decken. Ganz oben auf der Werteskala steht die Einsparung, bzw. Effizienzsteigerung, gefolgt von der Gebäudesanierung. Energieberatungen werden jetzt schon kostenlos durch die Gemeinde angeboten, am Ende soll ein Energienutzungskonzept stehen, welches die Bürger mit fachlicher Unterstützung selbst entworfen haben und in der Zukunft auch vertreten müssen.

Das Rahmen der Bürgerbeteiligung stehen auch alternative Formen der Altersplanung auf dem Programm: So werden Nachbarschaftshilfen für Senioren und Fahren mit Einkaufen, Arztbesuche und Essensverteilung organisiert. Projekte wie der Erhalt des alten Moorbades, ein Seerundweg, ein naturnaher Spielplatz in einer Baulücke oder ein Kulturlehrpfad waren nur mit ehrenamtlichem Engagement möglich. Und im Rathaus findet regelmäßig eine Kindergemeinderatssitzung einschließlich Beschlußlage statt, in der der Bürgermeister Rechenschaft ablegen muß. Michael Pelzer stellte ausdrücklich dar, daß ein Bürgermeister Gemeinderatsbeschlüsse umsetzen müsse, er dürfe nicht der Versuchung unterliegen, Entscheidungen zu manipulieren.

In der Diskussion erinnerte 2. Bürgermeister Franz Eder an das Leitbild und das Aktionsprogramm der Laufener Agenda21 und forderte, diese zwölf Jahre alte Beschlußlage des Stadtrates auf ihre Aktualität hin zu überprüfen. Dr. Josef Heringer warb für den Blick auf ländliche Entwicklungen weltweit, da die Probleme der Abwanderung oder dem Verlust von traditionellen Strukturen überall auf der Erde gleich wären. Agenda21-Stadtratsreferentin Agnes Thanbichler dankte Bürgermeister Michael Pelzer für seinen engagierten Vortrag und überreichte ihm als Dank ein Geschenkkorb der Solidargemeinschaft Berchtesgadener Land.

Bericht und Foto: Dirk Reichenau

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